„Atheistisches Christentum“ als Zielvorgabe von „Kirchenmodernisierern“

„Im Westen ist der Atheismus nur eine kleine Insel in einem Weltmeer von Religionen. Er genießt noch lang keine ungeteilte Zustimmung; wenn wir unseren christlichen Glauben in der Moderne einheimisch machen wollen, inkulturieren, wie man das nennt, muss dieser Glaube atheistisch religionslos werden. Aber gibt es ein religionsloses, atheistisches Christentum? Ja, das gibt es. Und es soll sogar so sein.“

Diese Aussagen stammen nicht von einem Atheisten- oder Freimaurerkongress, wie man vielleicht vermuten würde, sondern sie stammen aus dem Protokoll eines Vortrags, den ein „katholischer“ Priester (!) und Ordensmann, nämlich der im Tiroler Lechtal in Vorderhornbach angeblich als Pfarrer (!) wirkende belgische Jesuit Roger Lenaers (geb. 1925) am 14. November 2010 in Wien gehalten hat. Träger der Veranstaltung war der sogenannte Lainzer Kreis, in dem seit 1972 einige Priester und Laien „Reformen“ der Kirche anstreben und der seinen Namen vom dortigen Bildungshaus der Jesuiten herleitet. Nach eigenen Angaben agiert man zusammen mit der Plattform „Wir sind Kirche“, welche gegen den verpflichtenden Zölibat und für die Frauenordination usw. eintritt.
Da vor kurzem wieder ein „Memorandum“ von sogenannten Theologen mit ähnlichem Inhalt verkündet wurde, in dem auch gefordert wurde, „nicht Menschen auszuschließen, die Liebe, Treue und gegenseitige Sorge in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft oder als wiederverheiratete Geschiedene verantwortlich leben“, ist es sinnvoll, auch auf gewisse geistige Hintergründe zu achten, welche das Verlangen nach solchen Änderungen beeinflussen.
Viele Gläubige fragen sich, wie immer wieder die gleichen Forderungen als „Aufbruch“ und „Erneuerung“ verkauft werden können, obwohl sie doch zugleich ganz offensichtlich entweder zur Heiligen Schrift und zur Überlieferung oder zu eindeutig entschiedenen kirchlichen Erklärungen im Widerspruch stehen.
Blickt man etwas genauer hin, fällt auf, dass längst schon das, was eigentlich im kirchlichen und christlichen Sinn „Glauben“ bedeutet, verloren gegangen ist und dass vielfach trotz Beibehaltung einer noch einigermaßen katholisch klingenden Sprache ganz andere Inhalte vermittelt werden.
Die Forderung nach einem „atheistischen Christentum“ ist in einem zwanghaften Anpassungswahn an die Denkweise der Moderne fast eine notwendige Schlussfolgerung für diejenigen, die meinen, sich ihren Glauben nicht mehr nach der Heiligen Schrift und der apostolischen Überlieferung, sondern nur mehr nach ihrem eigenen Geschmack und „modernem“ Empfinden bilden zu müssen.
Wenn das Zeugnis Christi, das uns von den Aposteln her durch alle Jahrhunderte weitervermittelt wurde, angeblich der „Korrektur“ durch den Zeitgeist bedarf, dann ist nicht mehr Gott oder die Wahrheit selbst der Mittelpunkt, sondern der Mensch, der sich damit aber immer mehr im Unbestimmten verliert.
Es ist deshalb sicher nicht falsch, darauf aufmerksam zu machen, was sich hinter Initiativen wie „Wir sind Kirche“ für Glaubensanschauungen verbergen, bzw. wohin der Ungehorsam gegenüber der apostolischen Überlieferung letztlich führt. Meist wird in der Öffentlichkeit so getan, als ob das Anliegen das Neuerblühen christlichen Lebens wäre, hier zeigt sich, dass es letztlich um die totale Umdeutung des christlichen Glaubens geht. Ginge es um eine wahre Reform, müsste man sehen, dass sie mit diesen Forderungen, die bei den Protestanten mit all ihren verheerenden Folgen ja längst realisiert sind, keineswegs gelingen kann. Eine echte Reform, die das kirchliche Leben wirklich wieder zum Blühen bringt, kann nur in der Rückbesinnung auf das Wesen von Glaube, Hoffnung und Liebe und in Treue zur kirchlichen Überlieferung gelingen, wie es uns ja auch alle Heiligen vorgelebt haben!
Am 23. September 2008 hatte Roger Lenaers SJ bei einer Buchpräsentation auf Einladung von „Wir sind Kirche“ in Wien in der Pfarre St. Gertrud/Währing seinen Glauben noch eher in teilhardistisch-monistischer Weise ausgedrückt, was natürlich auch total gegen das christliche Glaubensbekenntnis verstößt , aber noch nicht ausdrücklich dem „Atheismus“ das Wort geredet.
Schon damals forderte er ein sogenanntes „autonomes“ Verständnis der Welt, die also nicht mehr von jemand außer ihr („heteromom“) bestimmt wird, sondern allein durch ihre eigenen Gesetze, die unabänderlich gedacht werden, ohne dass diese Forderung letztlich begründet wird. Gott fällt dann bestenfalls mit der Welt zusammen, die sich aus sich selbst entwickelt. Freiheit und Liebe im eigentlichen Sinn sind dann natürlich nicht mehr möglich, allenfalls das Gespür für unsere Einheit mit der so gedachten Welt, die zugleich auch Gott sein soll: „Die Idee eines Gottes, der hier souverän eingreifen könnte, widerspricht nicht nur der Autonomie des Menschen und des Kosmos, sie würde dazu noch alle wissenschaftlichen Gewissheiten zerstören. Diese stützen sich ja auf die inneren Gesetzmäßigkeiten der natürlichen Prozesse. Eingriffe von außen würden diese wissenschaftlichen Gesetze reduzieren zu allgemeinen Regeln mit immer möglichen Ausnahmen, zu statistischen Wahrscheinlichkeiten. Und die ganze Technologie, die sich auf diese Gesetze stützt, würde ihre Verlässlichkeit verlieren. Für moderne Wissenschaft und die auf ihr gebaute moderne Zivilisation ist es darum unbedingt notwendig, die Idee einer zweiten Welt, die uns beherrschen würde, mit aller Kraft zu bekämpfen.“ Was hier als „wissenschaftlich“ ausgegeben wird, ist in Wirklichkeit nach heutigem Verständnis völlig unwissenschaftlich. Hat nicht die moderne Quantenphysik längst die einst so sicher geglaubten Naturgesetze „zu allgemeinen Regeln mit immer möglichen Ausnahmen, zu statistischen Wahrscheinlichkeiten“ reduziert, also gerade zu dem, was nach Lenaers gänzlich unkritisch als „unmöglich“ angenommen werden soll?
Lenaers zeigt schon in seinem Vortrag 2008 sehr klar und sehr offen, wie sich das Verständnis des christlichen Glaubens nach Annahme seiner Vorstellungen total verändert: „Wenn die göttliche Urwirklichkeit letztendlich Gestalt annimmt im Menschen, ist das kleine “Selbst” des Menschen nichts anderes als das unendliche Selbst jener Urwirklichkeit, das in ihm Gestalt annimmt…
Aber sehen wir auch, was sich aus dieser modernen Gottesvorstellung ergibt? Nichts weniger als der völlige Zusammenbruch aller folgenden Artikel des Glaubensbekenntnisses. Denn dann ist Jesus von Nazareth keine göttliche Person, die aus dem Himmel auf die Erde herabgestiegen ist, jene himmlische Welt gibt es nämlich nicht, und er ist nicht aus einer Jungfrau geboren, denn Paarung ist die unumgängliche Bedingung für Schwangerschaft und Geburt, und er ist nicht auferstanden am dritten Tag, denn der Tod bedeutet den irreversiblen und raschen Abbau aller Lebensfunktionen, an erster Stelle der Gehirnfunktion. Und es gibt keine außerkosmische Macht, die diese biochemische Katastrophe plötzlich wieder rückgängig machen könnte. Und auch seine Himmelfahrt und seine Wiederkunft zum Gericht kann man vergessen. All diese Artikel unseres Glaubensbekenntnisses setzen die Existenz einer anderen, übernatürlichen Welt voraus und Eingriffe aus dieser Welt in die unsrige. Ebensowenig bleibt etwas übrig von den meisten anderen Vorstellungen, die die Kirche als unfehlbare Wahrheit vorhält. Denn dann sind zum Beispiel dem Mose nicht eines Tages von Gott auf dem Sinai 10 Gebote mitgeteilt worden und hat der Papst keine aus dem Himmel kommende Macht und Unfehlbarkeit und ist die Bibel ebenso wenig wie der Koran der Niederschlag von Offenbarungen aus der Höhe und also keineswegs Wort Gottes, und hat es keinen Sinn mit Opfern bei Gott im Himmel etwas erzielen zu wollen usw. usf.
Ist es möglich all dieses Traditionsgut zu retten? Die mythologischen Formulierungen auf keinen Fall.
Aber man kann die Botschaften, die sie enthalten, herausschälen und sie so formulieren, dass sie nicht mehr kollidieren mit der richtigen Grundintuition der Modernität, dass es keine übernatürliche Welt gibt.“
Lenaers erklärt dann an zwei Beispielen, wie eine solch typisch modernistische Umdeutung der Glaubensinhalte aussehen kann, die in Worten scheinbar am christlichen Glauben festhält, ihn aber innerlich völlig verzerrt darstellt – eine heute häufig zu beobachtende, aber oft zu wenig beachtete Geisteshaltung bei vielen angeblichen „Theologen“ und „Kirchenmännern“:
Zunächst stellt er das christlich verstandene Opfer in einen völlig verzerrenden, letztlich heidnischen Zusammenhang, um es dann pauschal zurückzuweisen, indem er einen angeblich „blutrünstigen Gott“ und das angebliche „Menschopfer“ am Kreuz kritisiert. Und dies, obwohl die Kirche und die Heilige Schrift ja etwas völlig anderes lehren! Denn die Bosheit der Menschen hat doch Jesus getötet, nicht ein blutrünstiger Gott. Jesus Christus hat sich der Bosheit der Sünde ausgeliefert, um sie durch Seine Liebe zu überwinden. Er hat in Seiner menschlichen Natur damit stellvertretend für alle gesühnt und das wiedergutgemacht, was die Sünde verdorben hat, Er hat die Gemeinschaft mit Gott wieder möglich gemacht, weil Er das, wozu die Menschheit ursprünglich berufen war, stellvertretend für alle bis zur Hingabe Seines eigenen Blutes gelebt und in unsere Welt zurückgebracht hat: die wahre Liebe!
Der Weg aus der Trennung von Gott ist also nicht deshalb wieder eröffnet, weil ein rachsüchtiger Gott ein blutiges Opfer erhalten hat, sondern weil auch wir uns nun im Neuen Bund mit dieser Liebe durch die eigene Opferbereitschaft vereinigen können und so an Seinem Leben in der Auferstehung Anteil erhalten! Die Gemeinschaft mit Gott ist wieder im wahren Sinn der Kindschaft Gottes möglich geworden und so ist in der Liebe und in der Gnade Christi die ursprüngliche Güte in die Schöpfung zurückgekehrt! Wir leben nicht mehr in der Finsternis, wir haben wieder Anteil am übernatürlichen Licht, selbst wenn uns überall noch die Folgen der Erbsünde umgeben! Christlich bedeutet Opfer Hingabe und Liebe. Gott liebt uns, und deshalb wird Er Mensch, deshalb opfert Er sich für uns in menschlicher Natur, damit auch wir uns wieder in unserer Liebe und in unserem Opfern mit Seiner Liebe vereinigen können!
Welche Vorschläge macht Lenaers? Man solle von “Kreuzestod”, aber nicht von “Kreuzesopfer” sprechen. Denn: „Ein moderner Gläubiger kann wohl noch von Erlösung durch den Tod Jesu reden, aber dann soll diese Erlösung unbedingt existentiell, innerweltlich verstanden werden… Die Grundhaltung Jesu vermag eine Anziehungskraft auf uns auszuüben, weil sie die Sichtbarwerdung der schöpferischen Urliebe ist und weil diese uns zu einer ähnlichen Liebe zieht oder drängt.“
Hier muss man ergänzen: Es ist zwar richtig, dass die Liebe Christi anzieht, aber Liebe ist mehr, als nur der Anziehungskraft nachgeben. Wenn Liebe Hingabe ist, dann ist sie auch Opfer!
Wenn wir das Opfer Christi oder auch unsere Vereinigung mit Seinem Opfer nicht mehr wahrhaben wollen, dann verzerren wir das wahre Bild der Liebe.
Lenaers gibt sich immer wieder (pseudo)mystisch und tut dabei zugleich so, als würde die Kirche der wahren und eigentlichen Mystik der Liebe widersprechen. In Wirklichkeit hat nicht Lenaers die „existentielle“ Seite der Erlösung entdeckt. Die katholische Kirche hat die Erlösung immer existentiell (natürlich aber nicht rein innerweltlich – hier liegt wieder die Verzerrung!) verstanden, im Gegensatz zum Protestantismus, der Erlösung nur als äußerliche Zudeckung der Sünden lehrt.
Wahre Erlösung bedeutet im katholischen und damit apostolischen Sinn immer ein neues Leben in der Liebe Gottes, - was ohne Glaube und ohne Überschreitung der innerweltlichen Grenze, also ohne Hingabe an Gott selbst, unmöglich ist! Liebe braucht ein reales Gegenüber, das Lenaers ablehnt, weil nach ihm kein Gott neben der Welt mehr Platz hat. Er spricht hier zwar von einer „schöpferischen Urliebe“, aber wenn er zugleich die Gebote und das selbstständige Sein Gottes ablehnt, dann wird dieses Reden von Liebe recht beliebig.
Erlösung und Liebe setzen für den in Sünde gefallenen Menschen auch die Gnade Christi voraus. Wenn ich nur von etwas angezogen bin, bin ich noch lange nicht erlöst. Selbst wenn ich Jesus dann bewundere, habe ich noch nicht die Gemeinschaft mit Ihm in einem neuen Leben, das nur Er schenken kann. Dann habe ich noch lange nicht den Neuen Bund mit Christus im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe geschlossen, der erst die wahre Erlösung und die Überwindung des Bösen und der Sünde möglich macht! Nicht die Kirche verfehlt die wahre Erlösung, wie Lenaers meint, sondern er selbst übersieht die Bedeutung des neuen Lebens in der Gnade und in der Liebe, die immer nur in Treue zur Forderung des Guten und damit unter Opfern verwirklicht werden kann.
Wenn man wie Lenaers die Gebote Gottes, weil von außen kommend, verwirft, verharrt man trotz der scheinbar schönen Worte im Subjektivismus, man kreist um sich selbst, legt sich bei Bedarf seine eigene „Wahrheit“ zurecht, die Liebe bleibt dann bloßes Ideal oder nur eine „Empfehlung“, es fehlt die innere Umgestaltung des ganzen Lebens, die wahres Christentum fordert. Wenn man das Opfer als Hingabe im christlichen Sinn ablehnt, wird man auch zu den in der Liebe geforderten Opfern, die ja auch von außen etwas von uns fordern, letztlich nicht fähig und auch nicht willens sein!
Einen ähnlichen Weg der Beibehaltung eines scheinbar christlichen Sprachgebrauchs bei völliger Umdeutung des Inhaltes schlägt Jenaers für die Eucharistie vor:
„Wie soll ein moderner Gläubiger dann wohl die Eucharistie deuten? Als Gedächtnis des Letzten Abendmahles Jesu… Gedenken ist ja etwas innerweltliches und es macht den geliebten Menschen, dessen man mit Wärme und Bewunderung gedenkt, in einem gewissen Sinne präsent. Besonders dann, wenn man seiner selbst und seiner Tat gedenkt, die der Höhepunkt und die Kurzfassung seines Selbstausdrucks ist. Und das war ja doch das Letzte Abendmahl. Diese Präsenz bewegt und ändert etwas in uns, sie erfreut, tröstet, erleuchtet, ermutigt, mahnt uns. Und weil Präsenz immer reale Präsenz ist – oder sie ist einfach keine Präsenz – bleibt man einerseits mit dieser Vorstellung der Tradition der realen Präsenz treu, aber entkommt andererseits dem Treibsand des Materialismus dieser Tradition.“ Obwohl also von „Realpräsenz“ weiterhin gesprochen wird, wird die Realpräsenz Christi unter den Gestalten von Brot und Wein geleugnet!
Die hier vorgeschlagenen Fehldeutungen und Verkürzungen des Glaubens bei gleichzeitiger Beibehaltung katholischer Formulierungen scheinen heute weit verbreitet. Sie machen es für viele schwierig, den katholischen Glauben klar zu erkennen oder zu verteidigen. Man muss die hinter einer sich harmlos gebenden Sprache (oder „Frömmigkeit“) stehenden ideologischen Zielsetzungen durchschauen und die katholischen Glaubensaussagen gut kennen, um der versuchten Täuschung nicht zu erliegen und um den katholischen Glauben deutlich und klar darlegen zu können, auch vor denen, die ihn nicht richtig verstehen oder auch bewusst missdeuten!

(Fortsetzung folgt)

Thomas Ehrenberger

 

Zurück Hoch Startseite